Wer im Supermarkt bei REWE oder EDEKA vor dem Regal steht, sucht meist intuitiv nach einem Merkmal: Fleisch muss die erste Zutat sein. Diese goldene Regel wird von Marketingabteilungen seit Jahren gepredigt. Doch die Realität der Futtermittelindustrie ist komplexer. Viele Hersteller nutzen eine legale Strategie namens „Ingredient Splitting“, um die Zutatenliste von Hundefutter so zu gestalten, dass Fleisch optisch ganz oben steht, obwohl das Produkt primär aus Getreide oder Hülsenfrüchten besteht. In diesem Artikel erfahren Sie, warum die Angabe „Fleisch an erster Stelle“ oft nur die halbe Wahrheit ist und wie Sie mit geschultem Blick die tatsächliche Zusammensetzung des Futters analysieren können, um die Gesundheit Ihres Hundes langfristig zu sichern.
Was ist Ingredient Splitting? Die Anatomie eines Tricks
Ingredient Splitting bezeichnet das Aufteilen einer einzigen, meist minderwertigen oder billigen Zutat in verschiedene Unterkategorien auf dem Etikett. Anstatt beispielsweise „Mais“ als eine Gesamtsumme von 40 % anzugeben, wird dieser in „Maismehl“, „Maiskleber“ und „Vollkornmais“ aufgesplittet. Da die Zutatenliste bei Hundefutter nach ihrem Gewicht in absteigender Reihenfolge sortiert sein muss, rutschen diese kleineren Anteile weiter nach hinten.
Durch diesen Kniff wandert die Fleischzutat – die vielleicht nur 25 % ausmacht – automatisch an die erste Position, obwohl die kumulierte Menge an Mais deutlich überlegen ist. Für den flüchtigen Käufer sieht es so aus, als ob Fleisch die Hauptzutat sei. In Wahrheit kauft man jedoch ein Produkt, das überwiegend aus Kohlenhydraten besteht. Besonders häufig findet man dieses Phänomen bei Trockenfutter im mittleren Preissegment, das massenweise in deutschen Drogeriemärkten wie DM oder Rossmann verkauft wird. Achten Sie darauf, ob ähnliche Begriffe mehrfach in verschiedenen Formen auftauchen.

Die Frischfleisch-Falle: Wassergehalt vs. Trockenmasse
Ein weiterer häufiger Trick auf der Zutatenliste von Hundefutter ist die Verwendung von „frischem Fleisch“ in der Deklaration. Auf den ersten Blick wirkt dies hochwertig. Das Problem: Frisches Fleisch besteht zu etwa 70 % bis 80 % aus Wasser. Die Gewichtsangabe auf dem Etikett bezieht sich jedoch auf das Gewicht zum Zeitpunkt der Verarbeitung.
Während des Extrusionsprozesses (der Herstellung von Trockenfutter) wird das Wasser entzogen. Das ursprünglich schwere Frischfleisch schrumpft massiv zusammen. Würde man das Fleisch im getrockneten Zustand wiegen – so wie die restlichen Zutaten –, stünde es oft weit hinter dem Getreideanteil. Ein Futter, das „Hühnerfrischfleisch (20 %)“ an erster Stelle führt, gefolgt von verschiedenen Getreidearten, enthält nach der Trocknung oft weniger als 5 % tatsächliches Fleischprotein. Im Vergleich dazu ist „Fleischmehl“ oder „getrocknetes Fleisch“ ehrlicher, da es die konzentrierte Proteinquelle ohne den verfälschenden Wasseranteil darstellt.

Hülsenfrüchte: Die neuen Füllstoffe in getreidefreiem Futter
Mit dem Trend zu getreidefreier Ernährung haben viele Hersteller Weizen und Mais durch Erbsen, Linsen oder Kartoffeln ersetzt. Doch auch hier findet massives Ingredient Splitting statt. Suchen Sie auf dem Etikett nach Begriffen wie „Erbsen“, „Erbsenprotein“, „Erbsenmehl“ und „Erbsenfaser“. Wenn diese vier Komponenten separat aufgeführt werden, ist die Wahrscheinlichkeit extrem hoch, dass Erbsen die eigentliche Hauptzutat sind.
Zu viele Hülsenfrüchte können bei Hunden zu Verdauungsproblemen und Blähungen führen. Zudem steht eine übermäßige Fütterung von Erbsen und Linsen in der Diskussion, mit bestimmten Herzerkrankungen wie der dilatativen Kardiomyopathie (DCM) in Verbindung zu stehen, wenn dadurch essentielle Aminosäuren wie Taurin verdrängt werden. Nur weil ein Futter „getreidefrei“ ist und Fleisch an erster Stelle nennt, bedeutet es nicht automatisch, dass es biologisch angemessen ist. Die qualitative Bewertung der Proteinquellen bleibt essenziell für die langfristige Vitalität Ihres Tieres.

Praktische Anleitung: So rechnen Sie die Zutaten im Kopf zusammen
Um den Etikettenschwindel zu durchschauen, müssen Sie die Zutatenliste von Hundefutter aktiv „reorganisieren“. Nehmen Sie die ersten fünf bis sieben Zutaten unter die Lupe. Wenn drei davon Variationen derselben Pflanze sind (z. B. Reis, Reisprotein, Reisstärke), addieren Sie diese gedanklich. Oft ergibt diese Summe einen Prozentsatz, der das Fleisch weit übertrifft.
Ein Beispiel für eine schlechte Deklaration: „Geflügelfleisch (22 %), Brauner Reis, Weißer Reis, Reisprotein, Geflügelfett...“. Hier ist Reis die wahre Hauptzutat. Eine hochwertige Deklaration hingegen ist transparent und fasst Zutaten zusammen oder gibt exakte Prozentwerte für die gesamte Gruppe an. In Deutschland unterliegt Tiernahrung zwar strengen Kontrollen durch das Futtermittelrecht, doch die Marketingfreiheit innerhalb der Deklarationsregeln bleibt groß. Nutzen Sie beim nächsten Einkauf bei Fachhändlern wie Fressnapf oder im Onlineshop die Filterfunktionen für „offene Deklaration“, um Hersteller zu finden, die nichts zu verbergen haben.

Häufige Fehler und Troubleshooting bei der Futterwahl
Oft lassen sich Besitzer von Begriffen wie „tierische Nebenerzeugnisse“ abschrecken oder von „Geflügelgenuss“ verleiten. Das Problem bei der Fehlinterpretation: Man kauft entweder unnötig teures Futter, das auch nur Splitting nutzt, oder man wählt ein Produkt, das für den individuellen Hund ungeeignet ist. Wenn Ihr Hund trotz „Fleisch an erster Stelle“ stumpfes Fell, Juckreiz oder häufigen Kotabsatz zeigt, ist dies ein klares Warnsignal.
Ein hoher Kotabsatz (mehr als zweimal täglich) deutet oft darauf hin, dass das Futter zu viele unverdauliche Füllstoffe enthält, die durch Ingredient Splitting versteckt wurden. Sollte Ihr Hund Anzeichen von Allergien oder Mangelerscheinungen zeigen, reicht ein Blick auf das Etikett nicht aus. In solchen Fällen ist eine professionelle Ernährungsberatung oder ein Besuch beim Tierarzt unerlässlich. Achten Sie auf die Reaktion Ihres Hundes – das beste Etikett nützt nichts, wenn die Verdaulichkeit in der Praxis nicht gegeben ist.
Wann Sie Expertenrat einholen sollten
Die Analyse der Zutatenliste von Hundefutter ist ein guter erster Schritt, ersetzt aber bei gesundheitlichen Problemen keine medizinische Diagnose. Wenn Ihr Hund chronische Magen-Darm-Beschwerden hat, sehr wählerisch ist oder unter Übergewicht leidet, kann eine maßgeschneiderte Rationsberechnung notwendig sein. Tierärzte mit Schwerpunkt Ernährung oder zertifizierte Ernährungsberater können helfen, den „Marketing-Dschungel“ zu durchbrechen.
Sicherheitshinweis: Stellen Sie das Futter niemals abrupt um, auch wenn Sie festgestellt haben, dass Ihr aktuelles Produkt viel Ingredient Splitting nutzt. Eine langsame Umstellung über 7 bis 10 Tage schont die Darmflora. Bei Welpen oder Senioren sind die Anforderungen an das Kalzium-Phosphor-Verhältnis so spezifisch, dass ein Laie dies kaum allein über die Zutatenliste kontrollieren kann. Suchen Sie professionelle Hilfe, wenn die Gesundheit Ihres Tieres stagniert.
FAQ
Ist Ingredient Splitting illegal?
Nein, es ist absolut legal. Solange jede Form der Zutat (z. B. Maismehl vs. Maiskleber) physikalisch unterschiedlich ist, darf der Hersteller sie separat aufführen. Es ist eine rechtliche Lücke in der Futtermittelverordnung, die geschickt für das Marketing genutzt wird.
Wie erkenne ich eine wirklich gute Zutatenliste?
Eine hochwertige Deklaration ist meist „offen“. Das bedeutet, jede Zutat wird mit einem exakten Prozentanteil angegeben, der in der Summe 100 % ergibt. Zudem stehen dort spezifische Fleischquellen (z. B. „70 % Rindfleisch, bestehend aus Herz, Muskelfleisch, Leber“) statt vager Begriffe.
Sind tierische Nebenerzeugnisse immer schlecht?
Nicht zwingend. Hochwertige Nebenerzeugnisse wie Herz, Leber oder Pansen sind extrem nährstoffreich. Problematisch wird es nur, wenn die Deklaration vage bleibt, da sich dahinter auch minderwertige Reste wie Schnäbel oder Krallen verbergen können. Transparenz ist hier das entscheidende Qualitätsmerkmal.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Slogan „Fleisch an erster Stelle“ eines der effektivsten, aber auch irreführendsten Werkzeuge im Pet-Food-Marketing ist. Durch Techniken wie Ingredient Splitting und die geschickte Nutzung des Wassergehalts von Frischfleisch täuschen viele Marken eine Qualität vor, die bei genauerem Hinsehen nicht haltbar ist. Als verantwortungsbewusster Hundehalter in Deutschland sollten Sie lernen, die Zutatenliste von Hundefutter kritisch zu hinterfragen und die Anteile gedanklich zusammenzuführen. Qualität zeigt sich nicht durch große Werbeversprechen bei EDEKA oder REWE, sondern durch Transparenz und die tatsächliche körperliche Verfassung Ihres Hundes. Nehmen Sie sich die Zeit für die Analyse – Ihr Hund wird es Ihnen mit Gesundheit und Vitalität danken.
Quellen & Referenzen
Dieser Artikel wurde unter Verwendung der folgenden Quellen recherchiert:

